Martin Landgraf aus Burgstädt

Unsere Motsetenfamilie sieht in Rurrenabaque zum ersten Mal in ihrem Leben ein Auto, Motorräder und Steinhäuser. Verwundert hören sie die Musik aus Lautsprechern am Ufer des Rio Beni und staunen später über die Glasscheibenim Hospital. Irgendwie kurios, mit den Augen eines Europäers betrachtet. Die Familienmutter wird sofort in das Krankenhaus von Rurrenabaque gebracht. Alan, der Arzt auf der Medizintour, diagnostizierte bei der circa 45 Jahre alten Frau Tuberkulose. Eine hochgradig ansteckend Krankheit, welche nur in Rurre im Krankenhaus behandelbar ist. Wir haben deshalb die Frau und ihre Familie mit dem Medizinboot von Bolson, dem obersten Dorf am Rio Quiquibey, mitgebracht. Vielleicht können wir so ihr Leben retten.

Als ein Teil des Hilfsteams sitze ich zusammen mit einem Arzt, einem Apotheker, einem Dolmetscher für die indigenen Sprachen Tsimane und Motseten, einer anderen Volontärin und Ilka Sohr und Torsten Roder in einem 12 Meter langen Holzboot. Gemeinsam fahren wir zunächst den Rio Beni und dann den Rio Quiquibey flussaufwärts. Unser Ziel ist es medizinische Hilfe in entlegenen Urwalddörfern zu leisten. Während der abwechslungsreichen, landschaftlich spektakulären 8-stündigen Fahrt kracht es plötzlich. Das Flussbett ist viel zu flach, das Navigieren äußerst schwierig. Die Motoraufhängung ist gebrochen und wir müssen anhalten. Sofort fallen die Sandfliegen gnadenlos über einen her. Zum Glück trage ich langärmlige Klamotten. Doch dem Motorista gelingt es, das Problem provisorisch zu reparieren und wir erreichen das Urwalddorf San Louis Chico. Schweißtreibend ist das Schleppen der Ausrüstung vom Flussufer des Quiquibey in das Dorf. Besonders die hohe Luftfeuchtigkeit und die Insekten machen mir dabei zu schaffen. Für eine Behandlung der Dorfbewohner ist es heute zu spät. In der Schule schlagen wir unsere Zelte auf, kochen Abendessen und besprechen mit dem "promotore de salud" und dem Lehrer des Dorfes die aktuelle Situation. Nach dem Frühstück beginnt die Behandlung. Der Arzt leistet dabei Schwerstarbeit und behandelt knapp 70 Personen. Das Hauptproblem ist ein Grippevirus bzw. Lungenentzündung, der auf Grund der hygienischen und sozialen Bedingungen im Dorf die Runde machte. Besonders Kinder sind davon betroffen. Auch Blähbäuche und Parasitenbefall sind häufig vertreten, doch dies sind alles Erkrankungen, gegen die man mit Medikamenten etwas tun kann. Aber auch schwerwiegendere Hautinfektionen werden behandelt. Mehr als Trösten ist dabei nicht möglich, den das Öffnen der Abszesse erfolgt ohne Narkose. Erstaunlich wie tapfer die Kinder dabei sind. Ich versuche mich nützlich zu machen wo ich kann. Hier mal eine Lampe zureichen oder bei der Medikamentenausgabe des Apothekers assistieren. Irgendwie vergeht die Zeit aber ganz schnell. Ständig ist man in Gedanken bei einem der Patienten, der da gerade im Stirnlampenlicht vom Arzt untersucht wird. Am Nachmittag kann ich dann richtig mit anpacken. Die Zahnputzschule steht auf dem Programm. Mit allen Kindern, die in die Dorfschule gehen, gibt es eine Übungsstunde. Jedes Kind bekommt seine eigene Zahnbürste. Ich nehme mir eine Hand voll Kinder und mach`s vor. Dann wird fleißig geübt. Eine lustige Sache, dass erste Mal schaumende Zahncreme und dann kein Spiegel?! Aber es funktioniert prima. Nach der Übergabe der Hefte, Stifte und der Schulbücher packen wir unsere Sachen zusammen und verabschieden uns. Mit dem Medizinboot fahren wir weiter flussaufwärts zum nächsten Dorf. San Louis Grande ist sehr gut organisiert. Wieder können wir die Schule als Basislager und Behandlungszentrum beziehen. Die Stimmung im Medizinteam ist super. Nachdem alle Aufgaben erledigt sind, ist abends sogar noch Zeit für eine Angelrunde. Am nächsten Tag wird wieder fleißig behandelt und die Zahnputzschule durchgeführt. Ein fußballähnliches Spiel mit den Dorfkids sorgt für viel Spaß und Freude. Auch wenn die Regelkenntnis nicht all zu groß ist, gelangt der Ball doch irgendwie ins Tor. Eine willkommene Abwechslung, um den Kopf für einige Zeit von den vielen Eindrücken frei zu bekommen.

Bei unserer Ankunft im Dorf Bolson wird uns eine schwer kranke Frau vorgestellt. Die Diagnose- Tuberkulose. Sie spuckt mit ihrem Husten Blut und Eiter. Kein schöner Anblick, aber Hilfe ist gefragt. Wir versprechen sie mit nach Rurre ins Krankenhaus zu nehmen.

Auf unserer Fahrt flussabwärts besuchen wir dann u.a. die Communidad Corte. Dieses Dorf ist das ganze Gegenteil vom sehr gut organisierten San Louis Grande. Hier leben die Menschen zu 20. unter einem einfachen Schutzdach. Die Klamotten hängen als große Haufen über Holzbalken. Eine prima Grundlage für die Ausbreitung von jeglicher Art von Pilzen, Bakterien und Viren. Ein trauriger Anblick sind auch die gefangenen Tiere, die ein tristes Dasein fristen. Zwei Aras wurden die Flügel gestutzt oder gebrochen um sie im Dorf als Haustiere zu halten. Ein Nasenbärbaby läuft an einem Strick festgebunden Hilfe suchend umher. Junge Wildvögel flattern und piepen in einem Korb. Doch wirklich was tun können wir nicht. Ein Parkranger ist nicht mit dabei und die Menschen kennen und wissen es teilweise einfach nicht besser. Nach der Behandlungsstunde müssen wir weiter, schließlich sitzen in unserem Boot ja noch die tuberkulosekranke Mutter und ihre Familie, welche schnellstmöglich ins Krankenhaus muss. Durch die hohe Übertragungsrate von grippalen Infekten, Bakterien & Viren ist unser Medizinvorrat erschöpft. Im letzten Dorf auf unserer Reise flussabwärts gibt es damit nur eine kurze Behandlung der Notfälle und das Versprechen gleich im März auf der zweiten Medizintour nochmal vorbeizukommen. Auf der Rückfahrt nach Rurre geht dann alles glatt und wir erreichen noch am Abend den Ort. Die indigene Familie kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Aber das konntet ihr ja bereits am zu Beginn des Textes lesen. Wir spenden ihnen unsere Arbeitshemden, so dass sie wenigsten halbwegs sauber durch den Ort zum Krankenhaus gebracht werden können.

Eine ereignisreiche, sehr erfolgreiche Woche geht damit zu Ende. Die Erlebnisse werde ich aber wohl nicht so schnell verarbeiten. Unterwegs ist nämlich nicht viel Zeit dafür.