Da sind wir nun, zum zweiten Mal im schönsten Land der Welt – Bolivien, ein Bericht von Robin Rudolph

Nach mehrwöchiger Akklimatisierung in Bootstouren im Rio Eslabon, fleißiger Arbeit im Refugio Jaguarete und bei Berraco del Madidi, geben wir uns schließlich dem Klima geschlagen. Akklimatisieren an 36°C und 90% Luftfeuchte, hunderttausende Moskitos und Sandfliegen funktioniert für mich leider nur bedingt. Aber sonst wäre es ja auch viel zu schön in Bolivien.

Seit 2007 realisiert das Projekt Regenzeit e.V. gemeinsam mit bolivianischen Ärzten jährlich 3-4 medizinische Versorgungsfahrten auf dem Rio Quiquibey ins Pilon Lajas Biosphärenreservat und indigene Gemeinden am Rio Beni. Alle Gemeinden sind ausschließlich auf dem Wasserweg erreichbar – ein Großteil von ihnen kann nur während der Regenzeit versorgt werden.

Nach guten 30 Tagen im Land bietet sich diesmal für Otto und mich die Möglichkeit Ilka und Torsten, Ärztin Mavel, Zahnärztin Sonja, Arzthelfer und Krankenpfleger bzw. männliche Krankenschwester Carlos - die Genderisierung verfolgt einen auch überall –, Klinikchef Joselo, sowie Motorista Esteban und Puntero, Koch, Motorista Melvin auf der 5-tägigen medizinischen Versorgungsfahrt am Rio Quiquibey zu begleiten.
Motorista ist der klassischen Bootsfahrer, obgleich diese Leute hier wesentlich mehr leisten als einfach nur ein Boot zu „lenken“; das Gleiche trifft auf den Puntero, den „Zeiger“ zu. Er sitzt vorn im Boot, liest den Fluss, stakt bei Bedarf die Tiefe ab und gibt das alles in Zeichensprache an den Motoristen weiter.

Am Sonntag den 18.02.2018 beginnen wir mit den Vorbereitungen für die 5-tägige Medizintour am Rio Quiquibey. Es gilt Sachen zusammen zu packen, Geschirr und Besteck abzuwaschen, Lebensmittel einzukaufen und und und…
Ilka war in der Woche schon fleißig und hat Medikamente sortiert und klassifiziert oder auch versucht zu identifizieren was denn nun eigentlich was ist.
Joselo hat in den Wochen davor die Vorarbeit geleistet und Medikamente und Medizin bestellt. Während wir da nun so schön in der Klinik „Fundacion Salud Rio Beni“ am Zusammenpacken und machen sind, ergießt sich gegen Mittag ein kräftiges Unwetter über uns, sodass die Klinik ein wenig überschwemmt wird und wir erstmal unsere Sachen retten müssen. Danke Regenzeit.

Am Montag geht’s dann gegen 7 Uhr los, wir werden von Joselo abgeholt und beladen nach und nach das Boot, bis dann schließlich auch der letzte eingetrudelt ist und wir starten können, ist es kurz vor 9 Uhr.
Carlos kommt noch mit einer großen Kiste mit Medikamenten und Impfstoffen, gespendet vom staatlichen Krankenhaus in Rurrenabaque, an, die es auch zu verstauen gilt. Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass diese Spende keine Selbstverständlichkeit ist und mühselige Arbeit war.
Dabei geht es ja um die eigenen Landsleute.
Wer zu spät ins bis aufs äußerste beladene Boot steigt und halt Gentleman ist, überlässt eben der Ärztin den besseren Platz und sitzt dann 7 Stunden und die restliche Tour auf einem Sitz ohne Rückenlehne, aber naja, dafür schwitze ich nicht so sehr am Rücken, alles positiv sehen.

Zu 10. machen wir uns auf den Weg, medizinische Hilfe für einige Dörfer und Völker am Rio Quiquibey zu leisten.

Gegen 14 Uhr erreichen wir das erste Dorf, San Bernardo de Quiquibey. Ich habe eigentlich keine Ahnung was mich hier erwarten wird, oder was ich mir überhaupt vorstellen soll, daher gehe ich auch völlig unvoreingenommen an die ganze Sache heran, man hat ja nun doch schon einiges in Bolivien gesehen und erlebt.
Hier lebt man spartanisch im Regenwald ohne Strom und sauberes Wasser. Die Schweine kriechen auf der Suche nach Essbarem zwischen den Hütten herum. Medizinische Versorgung kann hier nur über den Flussweg erfolgen und das höchstwahrscheinlich auch nur 1mal pro Jahr.
Einige wenige sprechen Spanisch, wenn sie denn vor Schüchternheit sprechen, was es den Ärzten natürlich nicht leicht macht, Diagnosen zu stellen und zu behandeln.
Familie um Familie wird behandelt. 11 Kinder pro Familie sind da manchmal keine Seltenheit aber zum Glück auch nicht die Mehrheit. Die Menschen sind schüchtern, kennen aber inzwischen die Leute denen sie wohl zum Teil ihre Leben zu verdanken haben, und lassen sich behandeln.

Joselo macht die Patientenannahme, versucht Patientenakten zu finden oder erstellt eben Neue.
Mavel macht die Anamnese, stellt Diagnosen und behandelt Patient um Patient; Sonja macht sich über verfaulte Zähne her. Ilka ist abwechselnd rechte und linke Hand der Ärzte, führt die Patientenlisten, stellt Rezepte aus und gibt diese an die Apotheke weiter, wo Otto sitzt und in dem Wirrwarr an verschiedenen Medikamenten das richtige raussuchen muss. Was natürlich nicht so leicht ist mit verschiedenen Markennamen bei gleichem natürlich extrem kleingedrucktem Wirkstoff.
Weiterhin gilt es für all die tapferen Patienten Luftballons zu verteilen. Man glaubt gar nicht wie glücklich Luftballons machen und vom Schmerz ablenken können.
Carlos impft was das Zeug hält. Torte unterstützt wo er kann und falls es was zu tun gibt, was ab und an eben auch nicht der Fall ist.
Kinder ablenken und beschäftigen damit sie den Ärzten und Helfern nicht noch den letzten Nerv rauben ist auch mehr als wichtig.
Dasselbe gilt für mich, unterstützen beim Boot ausladen und dann Melvin in der Küche helfen.
Ebenso Esteban hilft wo er kann und wird später noch eine viel größere Hilfe wenn es ums Übersetzen der indigenen Sprachen geht. Das ist nicht selbstverständlich für Bolivianer.

Erster Tag geschafft. Das abendliche Zusammensitzen darf natürlich nicht fehlen und so lassen wir bei Coca und Singani (Traubenmostschnaps) und selbstgemachter Limonade den ersten Tag ausklingen.

Am nächsten Morgen wird noch eine Zahnputzschule mit Sonja durchgeführt, bevor wir unser Zeug packen und weiter zum nächsten Dorf fahren. 

Nächster Halt: Aguas Claras. Ein kleiner klarer Zufluss zum Quiquibey war hier der Namensgeber.
Ein Zwischenstopp bevor es nach dem Mittag weiter zum nächsten Dorf geht.
Da hier nicht so viel zu tun und zu helfen ist, gehe ich während der Behandlung der Dorfbewohner mit Melvin angeln, Mittagessen oder Abendbrot muss ja auch besorgt werden, über einen frischen Fisch hat sich schließlich noch kein Bolivianer beschwert. Aber das Glück ist uns nicht hold.
Also gibt es zum Mittag leider nur Dosenthunfisch mit Salat und danach fahren wir weiter nach
San Luis Grande.

Hier gibt es eine aus Zement und Ziegel gebaute große Schule, eine Art Fußballfeld sowie einen Notstromgenerator der das Haus des Dorfchefs mit Strom und Licht versorgt.
Dieser besitzt sogar einen Fernseher und war selbst im Fernsehen zu sehen, als bester oder besonders guter Angler.
Hier gibt es auch fließendes klares Wasser und eine Dusche. Schon großer Luxus wenn man es mit dem ersten Dorf San Bernardo vergleicht.
Zwei Tage werden wir uns hier Aufhalten, weil es einfach mehr Menschen zu behandeln gibt und auch erst morgen mit der Behandlung begonnen wird.

Die Ärzte, Arzthelfer und die Apotheke beginnen zeitig am Mittwochmorgen mit der Behandlung der ersten Patienten. Nur für den Rest gibt es in diesen Stunden recht wenig zu tun, was manchmal schon sehr frustrierend sein kann. Gegen Mittag kann man bei der Zubereitung des selbigen helfen, aber ansonsten gibt es nichts weiter zu tun.

Zum Glück hat Ilka am gestrigen Abend bei der Coca und Trinkrunde mit den Einheimischen gut zugehört und erzählt mir dann am frühen Nachmittag, dass die Dorfbewohner Solarpanele (12/24V), Lampen und Kabel bekommen haben, aber nicht wissen wie sie das alles am besten zusammen bringen können. Klingt ja nach der perfekten Aufgabe für mich. Schnell stellt sich aber heraus, dass die Lampen für 220 V sind und es weder Laderegler noch Spannungswandler für die Solarpanele gibt.
Also aus der grünen Energie wird leider nichts.
Da es hier aber einen Notstromaggregat gibt welches 220V Wechselstrom erzeugt und bereits zwei Häuser angeschlossen sind, können wir mit den vorhandenen Mitteln natürlich weitere Häuser anschließen und damit mit Licht versorgen.
Deutschen oder europäischen Normen entspricht hier natürlich nichts, es wird so gut und so sicher wie möglich verlegt und verkabelt.
Kleiner Ausschnitt aus Ilka Sohrs Bericht:
„Und siehe da, es ward Licht. Aber nun, wo sie doch einmal solche Koryphäen im Dorf haben, wäre es doch schön, wenn die 4 Hütten da drüben auch noch Licht bekämen.
Hui, da drüben stehen ja noch 7 Hütten und nicht nur vier.
Die Abstände zwischen den Hütten sind nicht gerade klein. Zweimal müssen wir einen Mast zur Überbrückung installieren.
Nach 4 Stunden wir der Generator wieder angeworfen und es funktioniert!
Zusammen mit Ilka habe ich alle Hütten mit Licht versorgt und die Familien freuen sich wirklich!
Durch unseren Arbeitseinsatz haben wir jede Hütte von innen gesehen – spannend und ernüchternd und ein kleines bisschen gruselig vielleicht. […] Während Team „Elektrik“ unterwegs war, haben die anderen die Zahnputzkampagne organisiert. Was die Dorfbewohner bei der Aufregung um die Verlegung der Kabel und Installation der Lampen fast vergessen hätten. Sonja hat erfreut festgestellt, dass sich wirklich Besserung abzeichnet. Ein echter Erfolg! Und Carlos hat sogar einen ordentlichen Fisch gefangen, der dem Team das Abendessen sichert.“

Am nächsten Tag, Donnerstag der 22.02.2018 geht es weiter nach San Luis Chico.
Hier gestaltet sich der Weg ins Dorf nicht ganz so einfach und kurz wie bei den anderen Dörfern, durch mehrfache Durchbrüche des mäandernden Quiquibeys, liegt das Dorf jetzt circa 30 Fußminuten vom Fluss entfernt. Also die ganze Ausrüstung geschultert und die Gummistiefel in die Hand genommen machen wir uns auf den Weg durch Dschungeldickicht und einer kleinen Flussdurchquerung nach San Luis Chico. Auch hier gibt’s für die Helfers Helfer nicht viel zu tun.
Arbeit muss man sich nahezu unter den Nagel reißen, freiwillig und auf Nachfrage gibt keiner was von seiner Arbeit ab.
So helfe ich Sonja beim Ausfüllen der Patientenliste und mache dann die Patientenannahme mit Joselo und sortiere Patientenakten.
Gegen 17 Uhr sind wir mit allen 20 Familien fertig und sitzen bereits wieder im vollgepackten Boot zum nächsten Ort: Corte.
 
Das Dorf muss sich wohl sehr zum Positiven gewendet haben, meinen Ilka & Torsten.
„Statt Unrat, Müll und Chaos erwartet uns ein regelrecht gepflegter Rasen, neue saubere Hütten mit gefegten Böden davor. Es gibt sogar ein Plumpsklo. Das Dorf hatte zum ersten Mal eine Lehrerin und somit eine Schule im vergangenen Jahr. Sie hat einen großen Anteil an den Veränderungen.“ (Ilka)
Die letzten Diagnosen und Behandlungen werden im Dunkeln im Schein der Taschenlampen getätigt. Sonja verschiebt das Zähne ziehen lieber auf den nächsten Morgen.

Am nächsten Morgen geht’s weiter, zum vorletzten Dorf auf dieser Tour: Bisal.

Hier gibt es weniger Familien und gegen Mittag ist mit man mit der Behandlung fertig.
Wir versorgen die Ärzte und Helfer mit Erfrischungsgetränken direkt aus der Kokosnuss.
Da das uns angebotene Chicha nicht gerade ein Hochgenuss ist.
Chicha ist ein Bier aus dem gesamten Andenraum Südamerikas, das schon von den Inkas getrunken wurde und im Allgemeinen durch Fermentation verschiedener Pflanzen durch Speichel gewonnen wird, daher auch der gelegentliche Name „Spuckebier“. Wikipedia lässt grüßen. ;-)
Ein Brüllaffenbaby versüßt uns die Wartezeit, auch wenn der kleine Kerl alles andere als gesund aussieht und auch nur aus einem einzigen Grund hier ist: Die Mutter wurde erschossen und gegessen und er wird vermutlich als Weihnachtsbraten herhalten müssen.

Schlussendlich geht es weiter zum letzten Dorf dieser Reise, nach Gredal.
Hier gibt es nur wenige Familien zu behandeln, sodass wir gegen 16 Uhr auf dem Rückweg nach Rurrenabaque sind, wo wir gegen 18 Uhr unversehrt, verschwitzt, erschöpft aber zufrieden und glücklich ankommen.

Da ich in die medizinischen Tätigkeiten weniger verwickelt war, kann ich zu den Krankheiten wenig sagen, aber mir erschien es, dass es allen Dörfern soweit gut geht, dank der jährlich wiederkehrenden medizinischen Behandlung.

Fazit der Tour:

Wir haben in fünf Tagen in sieben Dörfern über 200 Menschen behandelt und geholfen. Es gab keine katastrophalen Extremfälle und auch keine schwerwiegenden Krankheiten. Die Zahnputzkampagnen scheinen langsam etwas zu bewirken. San Luis Grande hat jetzt Licht.
Der Zustand aller Dörfer war gut. Schlimm ist, dass in keinem der Dörfer ein Lehrer vor Ort gewesen war und keines der Dörfer weiß, wann und ob 2018 wirklich einer kommen wird. Traurig - vor allem, wie man am Beispiel Corte sieht, was ein motivierter Lehrer bewirken kann.

Vielen Dank an unser Team-Bolivien und an alle, die von Deutschland aus unterstützen! Die Hilfe hier unten ist wirklich sehr viel wert, und ohne diese gäbe es vielleicht das ein oder andere Dorf schon nicht mehr.